Link & Web 19.06.2009 (Archiv)
Zeitungen sollen sich neu erfinden
Der 'Zeit Online'-Chefredakteur fordert Mut zu kreativen Ideen und appelliert an die Zeitungen in Österreich. Die Zeitungskrise zwinge zum Umdenken.'Der Journalismus erlebt gegenwärtig eine so spannende Zeit, wie es sie seit der Phase nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat. In der heutigen digitalen Informationsgesellschaft hat er eine Chance, sich vollkommen neu zu erfinden.' Mit dieser Einschätzung appellierte gestern, Donnerstag, Wolfgang Blau, Chefredakteur der 'Zeit Online', an die Generalversammlung des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ). Um sich den neuen Herausforderungen, die durch die Medienrevolution der vergangenen Jahre entstanden sind, erfolgreich stellen zu können, müssten die Zeitungen auch ihr eigenes Verständnis komplett überdenken.
'Es nützt nichts, in Anbetracht der Leserabwanderung ins Internet und des einbrechenden Anzeigengeschäftes, den Kopf in den Sand zu stecken oder gar das Internet zu verunglimpfen. Was die Branche braucht, ist Mut zu kreativen Ideen und neuen Geschäftsmodellen', so Blau.
Dem 'Zeit Online'-Chefredakteur zufolge würden mittlerweile zwar alle großen Zeitungshäuser über einen eigenen Online-Auftritt verfügen, die journalistischen Darstellungsformen auf diesen Websites seien aber immer noch sehr stark von den Darstellungsformen der Print-Medien geprägt. 'Auch online sehen Sie im wesentlichen Artikel mit illustrierenden Fotos oder statischen Infografiken. Die Möglichkeiten, online sehr viel komplexere Datenmengen oder Sachverhalte visuell aufzubereiten und in Kooperation mit den Lesern noch tiefer auszuwerten, werden von uns allen noch kaum genutzt.'
Zeitungslayout im Internet
Es reiche auch nicht, so Blau, wenn Journalisten nun lediglich auf die Verbesserung ihrer Multimedia-Fähigkeiten setzten. Sie müssten auch ihre Rolle im Internetzeitalter gänzlich neu definieren und so dazu beitragen, dass eine genuine, neue Form des Journalismus entstehen könne, forderte Blau. Bislang sei eine derartige Entwicklung erst in einigen ersten Ansätzen zu erkennen.
Das größte ungenutze Potenzial sieht Blau, der schon 1999 für 'Die Welt' das erste Online-Audioportal einer europäischen Tageszeitung entwickelt und produziert hat, vor allem in Bezug auf die Interaktion mit der eigenen Leserschaft: 'Das Internet hat eine Vielzahl neuer Möglichkeiten der Leserbindung für Zeitungen hervorgebracht. Der Etablierung einer eigenen Community kommt in diesem Zusammenhang eine wesentliche Bedeutung zu. Sie ermöglicht nicht nur den direkten Austausch zwischen Lesern und Redaktion, sondern auch Formen des kollaborativen Journalismus, die vorher nicht möglich waren.' Beim Online-Portal der 'Zeit' komme diesem Bereich in Zukunft eine noch höhere Bedeutung zu.
Community und enge Zielgruppen
'Unsere Community ist ein zentraler Bestandteil unseres Web-Engagements. Mitglieder können dort gemeinsam mit uns aktuelle Nachrichtenthemen diskutieren, eigene Diskussionen starten oder ihre selbst verfassten Beiträge auf unserer Seite veröffentlichen', schilderte Blau.
Was die inhaltliche Positionierung betrifft, ortet der 'Zeit Online'-Chefredakteur vor allem in einer zunehmenden Spezialisierung eine Chance für Online-Medien. 'Es wird unternehmerisch nichts bringen, im Web nur auf Masse und primär auf Pageviews zu setzen. Das Ergebnis sind viele fast inhaltsgleiche Portale mit immer niedrigeren Tausender-Kontakt-Preisen.' Es liege in der technischen Natur des Internet, so Blau, dass es Spezialisierung belohne. 'Diese Spezialisierung kann beispielsweise in regionaler Kompetenz liegen, in der Fokussierung auf Spezialinteressen, in besonders ausgeprägter Interaktion mit den Lesern oder auch in der Konzentration auf besonders gebildete und anspruchsvolle Nutzer', so Blau abschließend.
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